Archiv
Start meines Blogs
zum Thema Hypnosystemik in der Jugendhilfe
Mit diesem Blog möchte ich den hypnosystemischen Ansatz von Gunther Schmidt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der in der Jugendhilfe tätig sind, näher bekannt machen.
Meines Erachtens ist dieser Ansatz für das sehr komplexe Arbeitsfeld "Jugendhilfe" eine Bereicherung. Seine zugrunde liegende Haltung und die vielfältigen Methoden, die Gunther Schmidt vermittelt, führt in der Anwendung bei den KlientInnen zu einer nachhaltigen Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Wertschätzung und Würde.
Ich werde die grundlegenden Ideen, was den hypnosystemischen Ansatz auszeichnet, vorstellen und wie Themen aus der Praxis hypnosystemisch behandelt werden können.
Darüber hinaus stelle ich verschiedene Methoden als Übungseinheiten vor, die in der Praxis ausprobiert werden können.
Der Leser erhält mit diesem Blog sukzessive eine Sammlung von praxisrelevanten Texten.
Im demnächst folgenden Beitrag werde ich die Entwicklung der Jugendhilfe bzgl. des systemischen Ansatzes der letzten 34 Jahre näher beschreiben. Hierbei soll aufgezeigt werden, wie bedeutsam der systemische Ansatz für die Jugendhilfe ist.
Beste Grüße
Michael Wischnowsky
Ab dem 28. November 2024 starte ich mit der neuen Weiterbildung "kompetenzorientierte/r Berater/in in der Jugendhilfe". In dieser Weiterbildung fließen die Themen dieses Blogs mit ein. Weitere Informationen erhalten Sie hier.
Herzlich willkommen zu meinem Blog "Hypnosystemik in der Jugendhilfe"! vom 15.07.2024
Systemischer Ansatz in der Jugendhilfe
In diesem Blogbeitrag werde ich über die Bedeutung, Eltern in Betreuungsmaßnahmen einzubeziehen, sprechen. Hierbei spielt der systemische Ansatz eine zentrale Rolle, da er die Einbeziehung der Eltern in die Betreuungsmaßnahmen ermöglicht. Ich freue mich darauf, mit Ihnen die verschiedenen Aspekte und Herausforderungen der Jugendhilfe zu diskutieren und wie der hypnosystemische Ansatz dazu beiträgt, die Kooperationsbereitschaft der Klienten und Klientinnen zu erhöhen.
Ich freue mich auf Ihre Kommentare. Klicken Sie einfach hier.
Im Dezember 1990 ist das SGBVIII, auch Kinder- und Jugendhilfegesetz genannt, vom Bundestag verabschiedet worden. Es hat das seit 18. August 1961 gültige Jugendwohlfahrtsgesetz, das ursprünglich 1922 verfasst worden ist, abgelöst.
Was ist daran so Besonderes? In dem neuen Gesetzestext ist der systemische Ansatz mit eingeflossen, indem die Eltern mit in die Betreuungsmaßnahmen einzubinden sind. Neue Betreuungsformen, wie teilstationäre Gruppen(§32), 5-Tagesgruppen (§34), SPFH (§31) und andere erhielten ihre gesetzliche Finanzierungslegitimation, die freie Träger anbieten können. Elternarbeit, Unterstützung der Eltern zur Verbesserung der Erziehungsbedingungen im Alltag sind dabei Aspekte, die in der Betreuung mit zu berücksichtigen sind.
Zur Beteiligung von Eltern und jungen Menschen wurde der §36 eingeführt, um mit Hilfeplangesprächen entsprechende Ziele zu formulieren. Dies hat als Ergebnis, dass alle an der Hilfe beteiligten Personen sich für den Erfolg der Maßnahme entsprechende Ziele setzen. Zielplanung und Auftragsklärung ist nach dem systemischen Ansatz eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Beratung oder Betreuung. Damit ist gewährleistet, dass Maßnahmen nicht endlos verlaufen. Zur Überprüfung werden regelmäßigen Abständen Hilfeplangespräche durchgeführt, um den Erfolg oder auch Stagnation einer Hilfe zu überprüfen oder neue Ziele zu formulieren. Der Erfolg einer Hilfe hängt allerdings davon ab, ob das hilfeempfangende Klientel die Hilfe und damit verbundene Ziele auch für sinnvoll und erstrebenswert erachtet.
Qualitätssicherung
Wurde zum Beispiel der Erziehungsbeistand, der sowohl Ansprechpartner für die Eltern als auch für die jungen Menschen war, vor 1990 von Mitarbeitern des Jugendamtes fachlich begleitet, wurden nun freie Träger beauftragt, diese Maßnahmen durchzuführen. Für die Qualitätssicherung sind damit die freien Träger zuständig.
Zum Beispiel habe ich als Student während meines Studium vor 1990 für das Jugendamt so eine Erziehungsbeistandschaft durchgeführt. Mit dem Fachkräftegebot ist mit Einführung des SGB VIII nicht mehr möglich gewesen.
Alles systemisch oder was?
Mit Beschluss des neuen SGB VIII waren die Hilfeanbieter gefordert, den systemischen Ansatz in die Hilfsangebote zu implementieren. Jede Einrichtung verkündete nun in ihren Leistungsbeschreibungen, die als Grundlage für Bewilligung von Maßnahmen dienten, systemisch zu arbeiten. Sehr oft war allerdings das, was auf der Verpackung stand, im Inneren (Praxis) oft nicht enthalten. Der systemische Ansatz wurde und wird inflationär behandelt. Woran ist das erkennbar?
Um die Nachhaltigkeit einer erfolgreichen Maßnahme zu gewährleisten, denn laut der Jugendhilfe-Effekte-Studie (JES,2003) ist ein Erfolg in der positiven Entwicklung des jungen Menschen mit den Jugendhilfe-Maßnahmen (Wohngruppe, Tagesgruppe, ambulant) verifizierbar, bedarf es auch der Einbeziehung der Eltern und des familiären Kontextes. Allerdings wird meist eher individuumszentriert vorgegangen, ohne die familiären Dynamiken in Eltern-und Familiengesprächen zu bearbeiten. Für die betreuenden Fachkräfte ist die Arbeit mit Eltern und Familien eine hohe Herausforderung, wenn diese nicht bereit sind mitzuwirken. Insbesondere, wenn im Vorfeld der Maßnahme oder bei der Zielplanung aufgrund bestehender Kindeswohlgefährdung auf die Eltern Druck (Sorgerechtsentzug, §§1666 BGB) ausgeübt worden ist. Zum Gelingen einer Maßnahme bedarf es, dass die Eltern in ihren Fähigkeiten und Kompetenzen gesehen werden und sie bei der pädagogischen Arbeit ihrer Kinder teilhaben können. Das Angebot von Eltern- und Familiengesprächen unterstützt den Transfer der pädagogischen Arbeit in den familiären Alltag. Störende oder hinderliche Wechselwirkungsprozesse können ebenfalls thematisiert werden.
Für gelingende Eltern- und Familienarbeit sind auch institutionelle Rahmenbedingungen notwendig. Genügend systemisch geschultes Personal, fachlich begleitet und ein entsprechendes Zeitkontingent sind hierfür bereitzustellen.
Rahmenbedingungen für höhere Kooperationsbereitschaft
Die Autoren von JES resümieren, dass nachhaltig erfolgreiche Maßnahmen mit der Kooperationsbereitschaft der Eltern und des jungen Menschen verknüpft sind. Weniger erfolgreiche Maßnahmen oder auch Abbrüche von Maßnahmen sind mit fehlender Kooperation bei den Eltern oder bei den jungen Menschen zu erklären. Das Hilfesystem ist also gefragt, wie Rahmenbedingungen für gelingende Kooperationsbereitschaft hergestellt werden können, sowohl bei Jugendämtern als auch bei den Hilfeerbringern.
Die Kooperationsbereitschaft erhöht sich, wenn die Eltern das Erleben haben, dass sie in ihrer familiären Lebenssituation verstanden werden.
Die Kooperationsbereitschaft erhöht sich, wenn die Erziehungsberechtigten an der Hilfe mitwirken können, sich selbstwirksam erleben und die Hilfe auch gemäß ihren eigenen Zielvorstellungen berücksichtigt wird.
Die Kooperationsbereitschaft erhöht sich, wenn die KlientInnen in ihren Potentialen gesehen werden. Defizitäre Deutungen und Bewertungen bzgl. des Klientels sind abzubauen oder positiv umzudeuten.
Hilfreich ist die Frage: "Wofür machen die Klienten das?" Weniger hilfreich ist, wenn nach Erklärungen gesucht wird mit der Fragestellung: Warum machen die das? Auch die Feststellung, der/die Klientin ist so oder so..., ist kontraproduktiv.
Für eine grundlegende Kooperationsbasis bedarf es:
- klarer und eindeutiger Zielformulierungen, die von allen Beteiligten mitgetragen werden (Jugendamt/Eltern/Kind/Hilfeanbieter)
- einer realistischen Auftragsklärung, die die verschiedenen Erwartungen verdeutlicht und Widersprüchlichkeiten aufdeckt
- Rahmenbedingungen, die konstruktive Familien- und Elternarbeit ermöglichen
- Symptome und destruktive Verhaltensweisen kontextbezogen und in seinen Wechselwirkungen zu betrachten.
- Erleben von Selbstwirksamkeit bei den Klienten und Klientinnen, indem ihre existentiellen Grundbedürfnisse, wie Schutz und Sicherheit, Verbundenheit und Zugehörigkeit, Anerkennung und Bestätigung sowie Autonomiebestreben respektiert und gewürdigt werden. Mit einem Betreuungsrahmen, der den Klientinnen und Klienten ihre Selbstgestaltung für eigene Lösungen ermöglicht, wird die Kooperationsbereitschaft erhöht.
- Vermeidung von Ohnmachtserleben mit geringem Selbstwirksamkeitserleben, das naturgemäß zu Widerstand und schließlich zum Abbruch von Maßnahmen führt. Mit der Folge, dass die Klientinnen und Klienten sich schließlich in ihrem negativen Selbstbild bestätigt sehen.
- auf Lösungen ausgerichtete ressourcenorientierte und auf Kompetenzen fokussierte Grundhaltung.
- gut ausgebildeter Fachkräfte, die die systemische lösungsfokussierte Haltung in der täglichen Arbeit verkörpern.
Die Autoren von JES schlussfolgern, dass Jugendhilfe ein Wirkungsfeld komplexer Zusammenhänge mit Kooperations- und Kommunikationsprozessen verschiedener beteiligten Personen, wie Jugendamt, Klientel, freier Träger ist. Für das Gelingen von Hilfen bedarf es fachliches Handeln und professioneller und fachlich abgesicherter Rahmenbedingungen. (Ja zu JES, S.7)
Mit meinem Blog "Hypnosystemik in der Jugendhilfe" möchte ich zur weiteren Professionalisierung beitragen.
Der hypnosystemische Ansatz erweitert den systemischen Ansatz. Er zielt besonders darauf die Kooperationsbereitschaft der Klienten und Klientinnen zu erhöhen, sodass eine erfolgreiche Maßnahme wahrscheinlicher wird.
Darüber hinaus biete ich ab dem 28. November 2024 ein Jahreskurs zur weiteren Professionalisierung an. Bei Interesse klicken Sie einfach hier.
Literatur
Bundesgesetzblatt 1961, 11. August; Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes
Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S.1163)
Michael Mascenaere, Wichard Klein u. Norbert Scheiwe: Ja zu JES, BVkE; 2003
Blogeintrag Hypnosystemik in der Jugendhilfe vom 20.07.2023
Jugendhilfe am Puls der Zeit und wie damit umgehen
Die Arbeit mit Klienten in der Jugendhilfe ist wie ein Brennglas, in dem sich die gesellschaftliche Situation verdichtet präsentiert. Die massiven gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 4 Jahre wie Corona-Pandemiemaßnahmen mit Lockdowns, Schulschließungen etc., Zukunftsschreckensszenarien bezüglich der Erderwärmung und der Ukrainekrieg führten zu einer hohen emotionalen psychischen Belastung bei den Kindern und Jugendlichen. Dies möchte ich am Beispiel der Pandemie-Maßnahmen näher ausführen. Ich werden Möglichkeiten mit dem Hypnosystemischen Ansatz aufzeigen, wie mit den negativen Folgen im pädagogischen Alltag umgegangen werden kann.
Die Schulschließungen während der Pandemie und damit verbundener Isolation sowie zum Teil unentdeckter häuslicher Gewalt oder Missbrauch haben zu psychischen Auffälligkeiten bei vielen Kinder geführt. Sie äußern sich in Stressempfinden, Ängste wie Schulangst, Zukunftsängste, Verlustangst, Schulunlust, Traurigkeit, Interessenverlust, sozialer Rückzug, Übergewicht durch mangelnde Bewegung und ungesunde Ernährung, Kopfschmerzen sowie Schlafstörungen. Siehe Webseite Seepark-Klinik: Corona-Pandemie: Wege aus der Krise
Auch die Eltern empfanden die Lockdownmaßnahmen, mit Schulschließungen und damit verbundenem Homeschooling, Home-Office mit dem Familienleben zu vereinen, sehr stressig, was auch die Beziehung zu den Kindern belastete. (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung)
Besonders finanziell beeinträchtigte und existentiell belastete Familien, zu meist alleinerziehende Mütter, hatten kaum Möglichkeiten diese Anforderungen zu bewältigungen, was zu weiteren Problemen führte. Kinder aus finanziell beeinträchtigten Familien waren durch die Lockdownmaßnahmen häufig in ihrer schulischen und emotionalen Entwicklung benachteiligt.
Unerfüllte Grundbedürfnisse führen zu Stressempfinden und sind emotional belastend
Jeder Mensch hat Grundbedürfnisse, die es für das eigene Wohlbefinden zu erfüllen gilt.
Folgende Grundbedürfnisse sind im Menschen existentiell vorhanden:
- Das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit
- Das Bedürfnis nach Kontakt und Verbundenheit sowie Zugehörigkeit, auch liebevolle Zuwendung genannt
- Das Bedürfnis nach Autonomie und eigener Entwicklung
- Das Bedürfnis nach Anerkennung und Bestätigung. (Du bist ok, so wie Du bist.)
Mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wurden die Grundbedürfnisse massiv eingeschränkt.
Die jungen Menschen wurden verängstigt. Da die Bezugspersonen ebenfalls Angst hatten, konnte das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit nur teilweise erfüllt werden. Die Angst, die Großeltern mit dem C-Virus anzustecken, war ebenfalls sehr groß, und führte zur individuellen Einschränkung eigener Bedürfnisse.
Mit den Lockdowns war der Kontakt zu Gleichaltrigen unterbrochen. Die psychische Entwicklung nach Autonomiebestreben besonders bei Jugendlichen war eingeschränkt.
Die restriktiven Maßnahmen (FFP2-Maske tragen, Druck sich impfen zu lassen, Abstand halten während der Pause etc.) konnten zu Ohnmachtserleben führen, verbunden mit einem verringertem Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Was besonders negativ nachhaltigen Einfluss hatte, war die Dauer von mehr als 2 Jahren.
Symptome oder (selbst)-destruktives Verhalten als Botschafter für Bedürfnisse
Für die Kinder und Jugendlichen war dies gefühlt eine lange Zeit, da sie ein anderes Zeitempfinden haben als Erwachsene. Insbesondere die jungen Menschen, die geringere Resilienzfaktoren entwickelt haben, wie positive Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Optimismus, Gefühl von Akzeptanz, mussten Lösungsstrategien entwickeln, um mit der andauernden Restriktion umzugehen.
Die oben genannten Symptome wie Schulangst, Zukunftsängste, Verlustangst, Schulunlust, Traurigkeit, Interessenverlust, sozialer Rückzug versteht die Hypnosystemik als Lösungsversuche, mit der belastenden Situation umzugehen. Der individuelle innere Organismus des Kindes, das autonome Nervensystem, hat die einzelnen Verhaltensweisen und Emotionen als Lösungsversuche entwickelt. Sie werden als Signale für unerfüllte Bedürfnisse verstanden.
Die Symptome haben sich in einem längeren Zeitraum entwickelt und verfestigt, aber dennoch im Leben eines jungen Menschen nur ein Lebensabschnitt. Es gibt auch noch andere Episoden, in denen die jungen Menschen sich sicher gefühlt haben, sich als selbstwirksam, zugehörig und anerkannt erlebt haben. Diese gilt es wiederzuentdecken und neu zu aktivieren.
Was bedeutet das für die Kinder- und Jugendhilfe?
Die Jugendhilfe ist also gefordert, mit betroffenen Kindern und Jugendlichen, die in Maßnahmen betreut werden, auf (Wieder-)Entdeckungstour für Resilienzerleben zu gehen und in der pädagogischen Arbeit die jungen Menschen dazu einladen, den Fokus auf Selbstwirksamkeit sowie Kompetenz- und Ressourcenerleben zu richten.
Dabei ist aus den Erkenntnissen der Hirnforschung zu berücksichtigen, dass die entwickelten Symptome nicht bekämpft und ausgemerzt werden können. Denn sie sind im Unbewussten, im nicht willentlichen Bereich des Bewusstseins, im autonomen Nervensystem (limbisches System) neuronal vernetzt. Das Unbewusste ist dem bewussten Ich überlegen und beeinflusst das Erleben zu 90 %. (Wird noch in einem anderen Blog beschrieben) Oft werden die unbewussten Prozesse allerdings vom willentlichen Ich abgelehnt, verurteilt und abgewertet, sodass ein innerer Kampf geführt wird, der mit Selbstabwertung und Ohnmachtsgefühlen einhergehen kann. Dies wird noch verstärkt, wenn das Umfeld mit Unverständnis und mit momentan unerfüllbaren Erwartungshaltungen darauf reagiert.
Utilisieren von Problemerleben
Für die Kinder und Jugendlichen und auch für die Erwachsenen in den unterschiedlichen Kontexten gilt es, einen liebevollen Umgang mit den einzelnen Symptomen zu entwickeln. Einen unterstützenden Bezug zu sich selbst herstellen, besonders wenn bei Überforderungssituationen das symptomatische Verhalten wieder aktiviert wird. Wir können die negativ bewerteten Symptome nutzen und zu ihnen ein neues Verständnis entwickeln, indem wir ihnen eine neue Bedeutung geben. Ängste oder Traurigkeit oder Rückzug oder Schulunlust können dann zu Signalgebern des Organismus an das bewusste Ich werden: "Hallo ich brauche etwas, wie liebevolle Zuwendung, Nähe und Kontakt, Anerkennung und positives Feedback etc."
Also psychische Probleme sind nicht zu bekämpfen, denn es ist ein sinnloser Kampf, den man nur verlieren kann. Demzufolge sind die Symptome als Rückmelder für unerfüllte Bedürfnisse, die in Stresssituationen auftauchen, anzuerkennen. Wie eine Warnblinkleuchte im Auto, die aufzeigt, dass ein technischer Defekt vorliegt.
Nach dem Seitenmodell von Gunther Schmidt, können wir das so verstehen, dass eine innere Seite sich in uns meldet, wenn ein Grundbedürfnis nicht erfüllt ist. Dieses Grundverständnis kann zu einer Entlastung bei den Klientinnen und Klienten führen. Dazu in späteren Blogs noch mehr.
Literatur:
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Belastungen von Kindern und Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie
Den hypnosystemischen Ansatz können Sie in der ab dem 28.11.24 beginnenden näher kennenlernen und vertiefen. Weitere Informationen erhalten Sie hier.
Blogeintrag zu Hypnosystmik in der Jugendhilfe vom 20.08.2024
Was ist eigentlich hypnosystemisch?
Gunther Schmidt hat den hypnosystemischen Ansatz entwickelt. Er hat die systemische Therapie mit der Hypnotherapie von Milton Erickson verbunden. Viele Konzepte der systemischen Therapie wurden durch die moderne Hypnotherapie von Milton Erickson beeinflusst, was heutzutage so nicht mehr bekannt ist, wie z.B. das Reframing stammt aus dem Utilisationsansatz von Milton Erickson. Gunther Schmidt, der mit Helm Stierlin und seinem Team die Familientherapie in den 70er Jahren in Deutschland bekannt gemacht hat, entdeckte die Einflüsse von Milton Erickson. So war es für ihn naheliegend bei ihm noch persönlich die Hypnotherapie zu erlernen. Mit seiner Rückkehr nach Deutschland konnte er die etablierte Familientherapie so nicht weiterführen und verband die ericksonische Hypnotherapie mit der systemischen Therapie. Er entwickelte daraus viele nützliche Methoden, die in den verschiedensten Bereichen ihre Anwendung finden, wie Psychotherapie, Psychosomatik (er nennt es Somato-Psychik), Coaching, Organisationsentwicklung etc.
Der hypnosystemische Ansatz mit seiner Grundhaltung, die Klienten ressourcenorientiert zu stärken, verfolgt verschiedene Grundprinzipien (hier eine Auswahl, die in weiteren Blogbeiträgen noch umfassender erläutert werden):
1. Potentialhypothese nach Milton Erickson: Jeder Mensch verfügt über ein umfassendes Potential an Fähigkeiten und Ressourcen, zu denen er mehr oder weniger Zugang hat. Die gilt es in den Gesprächen (wieder-)zu entdecken.
2. Bewusstes und unbewusstes Erleben. Unser Erleben wird nur zu einem geringeren Anteil willentlich gesteuert, sondern überwiegend durch unbewusste unwillkürliche innere Prozesse. Widersprüchliche Erlebensprozesse sind in Einklang und in eine innere Balance zu bringen.
3. Trance = Erleben mit Vorherrschen unwillkürlicher Prozesse. Die Erlebensprozesse finden „automatisiert“ statt, „es geschieht wie von allein..“ Je nachdem, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet ist, wird unwillkürlich ein bestimmtes Erleben aktiviert, sowohl als Problemerleben oder angenehmes, gewünschtes Erleben. (nach Gunther Schmidt auch Problemtrance oder Lösungstrance genannt)
4. Priming: Die Sozialpsychologie konnte in amerikanischen Studien belegen, dass Worte unwillkürliches Erleben im Menschen bahnen können. Worte erzeugen Wirklichkeiten, die psychische sowie physiologische und körperliche Prozesse beeinflussen.
5. Autopoiese: Menschen handeln autonom und selbst organisiert. Es ist nicht vorhersehbar, wie Klienten und Klientinnen auf pädagogische oder therapeutische Interventionen reagieren.
6. Menschen erzeugen ihre Wirklichkeit individuell. Der Fokus ihrer Aufmerksamkeit bestimmt das Erleben. Wie Phänomene wahrgenommen und innerpsychisch verarbeitet werden, beruht auf individuelle Verarbeitungsprozesse des Individuums. Sie sind abhängig von Vorerfahrungen aus Episoden der Vergangenheit.
7. Kontextbedingungen. Verhalten, ob negativ oder positiv bewertet, ist in seinem jeweiligen Kontext zu betrachten. Sich wiederholende zirkuläre Wechselwirkungsprozesse zwischen verschiedenen Systemmitgliedern und auch andere dazugehörige Faktoren beeinflussen das Verhalten von Individuen. Bewertungen, Bedeutungsgebungen, Erklärungen von menschlichen Verhalten führen zu einer Versachlichung und Verfestigung eines fluktuierenden lebendigen Prozesses. Dies beruht auf einer mechanistischen, linear-kausalen Denkweise. Um menschliches Verhalten zu verstehen, bedarf es einer prozesshaften zirkulären Beschreibung von Interaktionen.
Zum besseren Verständnis möchte ich zu einer kleinen Übung einladen:
Die Übung heißt Stroh zu Gold machen
Vielleicht lehnst Du ein Verhalten von Dir ab.
Und Du sagst zu Dir: Ich bin... (Festlegung einer Benennung oder Zuschreibung über sich selbst oder Du hast bereits erlebt, dass andere Dich mit einer Benennung einordnen)
Um das zu verflüssigen, kannst Du die festlegenden Eigenschaften in Verhalten übersetzen
Was musst Du tun, um so zu sein? Wie verhältst Du Dich?
Zur Erweiterung von In-(Formation) ist es hilfreich Unterschiede zu bilden, und den Kontext zu erfassen.
Dies wird Kontextualisieren genannt:
Wann, wo mehr, mal weniger tritt das Verhalten auf? Mit wem?
Wer ist alles dabei? Wie ist das Verhalten in der Situation eingebettet? Wer macht was mit wem? Wer bewertet das Verhalten weniger oder verstärkter? Wen stört es weniger oder mehr?
Dann räumlich und zeitlich? Wo zeigt sich das Verhalten? Wann zeigt sich das Verhalten?
Utilisation/Reframing
Angenommen das Verhalten wird als Lösungsversuch für die Erfüllung von Bedürfnissen/ als Lösungsversuch für irgendwelche Anliegen angesehen:
Wie kannst Du oder andere das Verhaltens würdigen? Wofür dient das Verhalten?
Welche persönlichen individuellen Grundbedürfnisse melden sich in dem abgelehnten Verhalten?
Was bewirkt das Verhalten als Lösungsversuch? Mit welchem Preis ist das Verhalten verbunden?
Kannst Du das Verhalten positiv bewerten?
Was ist das Gute in dem Verhalten?
Was ist das Gute wofür?
Kannst Du es würdigen, dass Dein Unwillkürliches sich in Deinem Erleben mit nicht berücksichtigten Bedürfnissen gemeldet hat?
Priming oder die magische Kraft von Worten, Klängen oder Sinnesreizen
Priming oder die magische Kraft von Worten, Klängen oder Sinnesreizen
Priming bezeichnet die unbewusste Beeinflussung von Denken und Wahrnehmung durch Worte, Klänge oder Sinnesreize. Beispiele aus realen Experimenten zeigen, wie Worte und Sätze physiologische und mentale Prozesse beeinflussen können. Ein Experiment mit Farb-Assoziationen veranschaulicht die Auswirkungen von Priming auf Gedanken und Wahrnehmung. Diese Erkenntnisse sind auch auf Beratungs- und Betreuungsprozesse übertragbar, da eine ressourcenorientierte Wortwahl das Erleben der Klienten positiv beeinflussen kann. Ein ressourcenorientiertes Sprachumfeld kann dazu beitragen, dass Menschen sich kompetent und gestärkt fühlen, während ein auf Defizite fokussierter Sprachkontext das Erleben negativ beeinflussen kann.
In Märchen und Phantasiegeschichten begegnen wir Heldinnen und Helden, die durch Hexen und Zauberern mit einem Zauberspruch oder Fluch verzaubert worden sind. Da wurde z.B. Dornröschen und alle Schlossbewohner in einen 100-jährigen Schlaf versetzt oder der Königssohn musste in einem tiefen Brunnen als verzauberter Frosch leben, bis eine Prinzessin ihn mit einem Kuss vom Zauber befreite.
Auch im realen Leben können Menschen mit Worten oder Sinnesreizen wie Töne, Gerüche, visuelle Reize in unbewusste Erlebenszustände versetzt werden.
Forschungsergebnisse der Sozialpsychologie zeigen auf, dass Worte bei Menschen physiologische und mentale Prozesse hervorrufen.
J.A. Bargh konnte in seinen vielfach durchgeführten sogenannten Florida-Experimenten nachweisen, dass Gruppen von Student:innen, die Sätze über vorgegebene Begriffe zu Alter und Gebrechlichkeit zu bilden hatten, einen Flur signifikant langsamer durchschritten, als Student:innen, die Sätze bezogen auf Jugendlichkeit, Lebendigkeit oder Sportlichkeit formulierten.
Wir können also davon ausgehen, dass wir Wortbegriffe aufnehmen, die unser Denken und unsere Wahrnehmung unbewusst beeinflussen.
Hierzu möchte ich zu einem kleinen Experiment einladen:
Bitte beantworte nachfolgende Fragen schnell nacheinander:
Welche Farbe hat der Schnee?
Welche Farbe hat das Blatt Papier?
Welche Farbe hat ein Brautkleid?
Welche Farben haben die Wolken?
Was trinkt die Kuh?
Zur Erklärung:
Falls Du bei der letzten Frage an "Milch" gedacht hast, wurdest Du durch die vier vorangegangenen Fragen mit der Farbe "Weiß" geprimt. Deine inneren gedanklichen Verarbeitungsprozesse wurden mit der Farbe "Weiß" vorbereitet, sodass schließlich bei der letzten Frage, "Milch" als Gedanke aufkam.
Dies wird als Priming bezeichnet. Englischer Begriff für Vorbereiten/Grundierung oder auch neurologisch als Bahnung bezeichnet.
Diese Erkenntnisse können wir auch auf Beratungs- und Betreuungsprozesse übertragen. Indem ein ressourcen- und lösungsorientierter, auf Kompetenzen ausgerichteter Sprachkontext hervorgerufen wird, erleben sich die Klienten und Klientinnen in ihrem Selbstbild gestärkt. Dementsprechend kann ein auf Defizite und Krankheitssymptome vorhandenes Sprachumfeld das Erleben der Menschen negativ beeinflussen.
Hier noch ein weiters Beispiel:
Lehrern, denen positiv dargestellte Entwicklungsberichte von eigentlich schwachen Schülern vorgelegt wurden, verhielten sich diesen Schülern gegenüber wohlwollender und entdeckten bei ihnen vermehr Stärken und Fähigkeiten. Die Lehrkräfte gaben diesen Schülern auch bessere Schulnoten, als bei Schülern, deren Berichte negative Einschätzungen enthielten.
Wir können also mit einer ressourcenorientierten Wortwahl ein Sprachumfeld schaffen, in dem sich die Klienten und Klientinnen in Beratungs- und Betreuungssettings kompetent und gestärkt erleben.
Der Fokus der Aufmerksamkeit auf die Potentiale erzeugt das entsprechende Erleben.
Literatur
Bargh, J.A. (2018). Vor dem Denken. Wie das Unbewusste uns steuert. Droemer
Kahneman, D. (2011). Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler
Kolodej, Ch. 2022. Priming - Stärkende Räume entstehen lassen. Springer Gabler